Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht (Erich Kästner)

Tucholsky – Liebespaar am Fenster

In Lieder on April 24, 2009 at 1:51 am

[Foto: changr]

Ich habe mir erlaubt, ein Gedicht Kurt Tucholskys zu vertonen und spontan aufzunehmen. Nachdem ich Monate daran gerätselt habe, wie ich denn sowas am besten mache, habe ich jetzt einfach mal am schnellsten gemacht – und zwar mit allem, was so in meinem Arbeitszimmer herumlag (glücklicherweise befindet sich immer zumindest ein Klavier darin). Zwar nicht in einem Schuss (weil ich nunmal nicht 10 Hände und 3 Gehirne habe), aber doch ohne Schnipseln und Bearbeiten, ohne technische Effekte, ohne Schönfärbereien. Eine Beta-Version, die nie in den Produktstatus übergehen wird…

Als Frage-Blogger sollte ich ja auch eigentlich eine Frage stellen, aber jeder Musiker weiss, dass die Frage „Wie war ich?“ ein ständiger stiller Begleiter ist. Also: wie steht denn nun dem Kurt das neue Hemd?

Download

Falls jemand irgendetwas mit dem Lied anfangen möchte, zum Beispiel ein Video dazu basteln oder einen schärferen Rhythmus drunterlegen oder eine Fotostrecke mit lauter Liebespaaren am Fenster, das darf er gerne, es steht unter der folgenden Creative Commons Lizenz.

Danke an Julia und Cara für die Hilfe beim Einbetten in WordPress!


Liebespaar am Fenster

Dies ist ein Sonntag vormittag;

wir lehnen so zum Spaße

leicht ermüdet zum Fenster hinaus

und sehen auf die Straße.

Die Sonne scheint. Das Leben rinnt.

Ein kleiner Hund, ein dickes Kind …

Wir haben uns gefunden

für Tage, Wochen, Monate

und für Stunden – für Stunden.

Ich, der Mann, denke mir nichts.

Heut kann ich zu Hause bleiben,

heute geh ich nicht ins Büro –

… an die Steuer muß ich noch schreiben … .

Wieviel Uhr? Ich weiß nicht genau.

Sie ist zu mir wie eine Frau,

ich fühl mich ihr verbunden

für Tage, Wochen, Monate

und für Stunden – für Stunden.

Ich, die Frau, bin gern bei ihm.

Von Heiraten wird nicht gesprochen.

Aber eines Tages will ich ihn mir

ganz und gar unterjochen.

Die Dicke, daneben auf ihrem Balkon,

gibt ihrem Kinde einen Bonbon

und spielt mit ihren Hunden …

So soll mein Leben auch einmal sein –

und nicht nur für Stunden – für Stunden.

Von Kopf zu Kopf umfließt uns ein Strom;

noch sind wir ein Abenteuer.

Eines Tages trennen wir uns,

eine andere kommt … ein neuer …

Oder wir bleiben für immer zusammen;

dann erlöschen die großen Flammen,

Gewohnheit wird, was Liebe war.

Und nur in seltenen Sekunden

blitzt Erinnerung auf an ein schönes Jahr,

und an Stunden – an glückliche Stunden.

(Kurt Tucholsky, 1928)

  1. Wow!

    Also, ich verstehe zwar nichts davon, aber für mich klingt das sehr angenehm. Es hat etwas angenehm natürliches. Also wenn Kunst nicht so „brotlos“ wäre, würde ich dir raten dich darauf zu konzentrieren…

    Ich weiss nicht ob dir das was hilft, aber wenn der Textgesang zu Ende geht, habe ich mir mehr gewünscht 🙂

    Es fällt übrigens lediglich nur zum Anfang und zum Ende hin auf, das Du bei der Aufnahme „doppelt“ zu Gegen warst. Wobei, es vielleicht auch gerade das ist was die Sache sehr prägnant authentisch macht…

    • Danke für das Feedback. Ich bin übrigens nicht beleidigt, wenn man mir sagt, dass das Scheisse ist 😉 Glücklicherweise verdiene ich meine Brötchen nicht als Musiker (da hat mir immer der Mut gefehlt).
      Mit Bach oder Wagner verglichen zu werden, ist allerdings schon eine Beleidigung (vor allem für Bach, aber auch für Wagner)

  2. Also erstmal: das ist richtig gut! Du bist ein begabter Musiker! Der Song reißt mich mich mit und ist lustig. Besonders gut finde ich, dass du so ein 30er Jahre- Feeling mit eingebaut hast, was wohl auch zum Entstehungsdatum des Gedichts passt.

    Zu WordPress- da gibt es hier ein gutes Plugin.

    Anleitung ist dabei. Wichtig ist, dass man noch den „Audio“ Pfad im WordPress-Verzeichnis anlegt (ich glaube in ../wp-content/..), dann die Mp3-hochladen und mit [audio:dateiname.mp3] in den Artikel einbinden.

    Fertig! Freue mich schon auf den nächsten Song..

    mfg, Julia

  3. Das mit dem Audio wüsste ich auch zu gerne …

  4. Ja, das ist wirklich gut. Man merkt, das das nicht dein erster Life-Auftritt ist. Deine Stimme erscheint mir geübter, als das vom normalen männlichen Singen unter der Dusche üblich ist. Hast du, oder spielst du noch, in einer Gruppe?
    Und da Julia dir ja alles recht gut erklärt hat (du bist ja vom Fach, für mich ist das chinesich) warte ich nun auch als neuer Fan auf dein nächsten Song.
    Auch wenn es nicht ganz meinen Geschmack trifft, wobei du damit mit Wagner und Bach in einer Reihe stehst, schöner Text der gut zur Musik passt.

  5. Fragenzeichner, ich bezog das auf meinen Geschmack, der mehr Roger Cicero, Manhatten Transfer, Frank Sinatra in seinen alten Tagen ist – ich mag diese Stimmen in treibenden Rhytmen – irgendwo auch ein Spiegelbild meines Lebens, wie Kunst das wohl überhaupt ist.
    Aber, ich gebe zu, es war nicht ungewollt leicht eineinhalb bis zweideutig formuliert 🙂

  6. Julia, dein Tipp funktioniert wohl leider nur, wenn man WordPress auf dem eigenen Server installiert hat und Zugriff auf alle Plugins. Ich werde es vielleicht einfach mal auf YouTube hochladen und dann so einbinden (mit Standbild)…

  7. Das hast Du ganz wunderbar gemacht – Respekt, Beifall und vielen Dank!

  8. hat mir prima gefallen, so viel text in so wenig zeit unterzubringen, und dennoch alles klar verständlich…die musuk ist gut ausgewählt, macht es richtig spannend…klasse, meld dich, wenn du im lande bist, fragezeichner:-)

  9. Meine Frau und ich finden: das ist super! Schön, Deine Stimme zu hören.
    Und mit dem am schnellsten: das ist eben manchmal das beste und schönste. Es lebe der kurze Weg!
    Mit der Lizenz, das finde ich sehr interessant.

  10. Cara, novalis, Detlef: danke!

    Detlef, das mit der Lizenz ist der Luxus, kein GEMA-Mitglied zu sein und auch finanziell nicht auf meine Musik angewiesen zu sein. Jeder, der damit etwas anstellen will und sie damit auf irgendeine Art in die Welt trägt, ist mir herzlich willkommen!

  11. wenn sie so schön ist, trägt man sie doch gerne weiter ;)(

  12. Hey, das ist ja echt super! Das Arrangement und auch die Darbietung.

  13. […] Das Frage Blog – Tucholsky: Liebespaar am Fenster – Die Überschrift verrät ja eigentlich schon viel, anzumerken wäre noch, dass dieses Gedicht mit musikalisch Untermalung in ein Audioformat verpackt wurde. (via) […]

  14. Schön, trifft meine Vorstellung von Tucholsky-Berlin-Ende der Zwanziger-Jahre. Wirkt relaxt.
    (Bin bei Tucholsky sonst immer skeptisch, weil ich den so gut finde, aber das stimmt einfach.)
    Danke, Bonifatius

  15. […] Aus dem gleichen Zyklus: Kurt Tucholsky – Liebespaar am Fenster […]

  16. Dat is hübsch 🙂 Sowohl der Text von Tucho wie auch das, was Du da en passant musikalisch daraus gemacht hast. Chapeau! Das Foto ist im übrigen auch fein, aber bei Katzen bin ich nicht objektiv 😉

    Beste Grüße
    Frank

  17. Ich danke!

  18. Hallo,

    mach bitte weiter so! Lass dich von Kritik nicht einschüchtern.
    Alles was dazu beiträgt Tucholskys Texte nicht zu vergessen ist doch mehr als nur willkommen.
    Henk Mantel

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