Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht (Erich Kästner)

Gedankenspiel: Patente in der Musik

In An Manche on Mai 22, 2008 at 7:50 am

Wie sähe die Welt aus, wenn Patente nicht nur auf Erfindungen, sondern auf musikalische Ideen vergeben werden würden – auf Ton-Intervalle, Akkordfolgen, Rhythmen, musikalische Formen, Tempi, Agogik, Vortragsanweisungen, …?

Wenn wir annehmen, dass Patente 20 Jahre gültig sind, dürfte man annehmen, dass Bach sämtliche Komponisten seiner Zeit arbeitslos gemacht hätte und den frühen Mozart blockiert. Beethoven hätte ohne Anlauf direkt die Romantik erfinden müssen und hätte seinerseits Schubert, Schumann und Co. unter enormen Druck gesetzt, früh eine unbesetzte Nische zu finden. Möglicherweise gab es auch einen uns heute unbekannten Schlaumeier, der sich den Walzer-Rhythmus unter den Nagel gerissen und den guten Johann Strauss in den 5/4-Takt gezwungen hätte. Wäre die Musikgeschichte schneller abgelaufen? Oder gar nicht? Kann man ohne anfängliches Kopieren und Variieren überhaupt etwas Neues schaffen? Kultur muss man aufsaugen, um sie neu zu schaffen. Gilt das auch für Technologie und Wissenschaft?

  1. Hallo,

    also hier übertriffst Du dich selbst 🙂

    Zwei differente (noch dazu derzeit reichlich kritische) Themenfelder fragend miteinander zu verbinden, um eine gemeinsame Antwort darauf zu erhalten.

    Musik:

    Es ist komplex! Natürlich hast Du recht. Jedoch ist dies auch ein Widerspruch in sich. Die Begehrlichkeit der Musikpatente ergibt sich durch die Befindlichkeiten einer vermarktenden Industrie, selbige ohne die Schaffenden keinen Sinn und Zweck hätte. Diese sind jedoch Künstler, keine Maschinen. Mann kann sie nicht zwingen auf verschiedenen Ausbaustufen kreativ zu sein, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit. Kunst ist und bleibt eben für alle Beteiligten ein Risiko. Einzig um dieses Risiko geht es, bzw. dessen Negierung. Man will eine Industrie stabilisieren, kalkulierbar machen, die erst durch ein gerüttelt Maß an Entropie richtig zur Blüte gelangt. Auf der anderen Seite ändern sich die Zeiten, der Planet dreht sich und Technologien entwickeln sich. Man könnte ebenso gut fragen:

    „Währe ein Mozart denn zu seiner Klientel gelangt, ohne die freiwillige Vermarktung des Adels?“

    Welchen Familien sind wir zu Dank und Honorar verpflichtet?

    Technologie und Wissenschaft:

    Eine zutreffende jedoch durchaus gewagte These die Du da aufstellst 🙂

    Als seine Genialität Terry Pratchett gefragt wurde was seines Erachtens nach einen guten Autor ausmacht, äußerte dieser: „Wer gut schreiben will, muss selbst viel lesen!“

    Aber nun frag doch einmal einen dir bekannten Informatiker und/oder Techniker, ob er weiss was eine Zilog80 ist oder eine 6502. Was ist der Unterschied zwischen einer 68000er und einer 68008er. Und vor allem: „Warum sollte man die Historie der Technik kennen?“ Warum sind die Buchstaben auf der Tastatur so angeordnet wie sie sind? Ist es wichtig das zu wissen? Ja, ist es. Denn wer es erst einmal verstanden hat, kann neues entwickeln: >http://www.artlebedev.com/http://de.wikipedia.org/wiki/Dvorak-Tastaturbelegung<.

    Aber wer braucht schon die Grundlagen? Wozu erst einmal krabbeln, wenn man gleich rennen kann? Kann man? Rund 98% der derzeitigen Fernmeldetechnik in der BRD wird mittlerweile durch Computertechnik realisiert. Da wo früher noch mechanische Drehwerke ihren Dienst versahen, schalten heute Nanorelais. Kein Problem was? Die Dinger sind unfehlbar, gehen nie kaputt. Das kann einem jeder Fachmann sagen 🙂

    Und über die Wissenschaft lasse ich mich erst so richtig in unserem Aufbauforum aus…

    Die Damen und Herren sind eindeutig noch zu empfindlich, um die Wahrheit zu ertragen 😉

  2. auch eine interessante frage: wie siehst mit rückwärtsgewandten patenten aus? also nach erfindung der zeitmaschine, sobald man sich in der zukunft etwas patentieren lassen kann, was dann in der vergangenheit nicht mehr hätte benutzt werden dürfen (hier versagt unsere dürftig diachronistische grammatik…). da muß man sagen, daß mit wagner und mahler die gesamte musikgeschichte illegal wäre…

  3. haha! das ist das beste, was ich seit elf tagen gehört hab!

  4. @Michael: mir hat mal eine Klassenkameradin gesagt (als ich ihr sagte, dass ich Schriftsteller werden will): möglichst nichts lesen, um den eigenen Stil nicht zu gefährden. Das hat mich sehr beeindruckt, aber ich glaube, dass war Unsinn. Leider ist sie nicht zum Abi-Treffen gekommen, so konnte ich das Thema nicht nochmal auf den Tisch bringen. Andererseits: ich habe immer viel gelesen und Schriftsteller bin ich trotzdem/gerade deswegen nicht geworden 😉

    @sahra sahara: und wie wird Herr Mozart dann sanktioniert? Gibt es dann den zeitreisenden Patentkommissar, der allen Musikussen auf die Finger klopft und für Stille sorgt an den Höfen der Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nationen?

    @neinpunktnull: was war denn vor elf Tagen?

  5. @Fragezeichner:

    „…ich habe immer viel gelesen und Schriftsteller bin ich trotzdem/gerade deswegen nicht geworden ;)“

    Als ich mich an dieser hohen Kunst versuchte, erhielt ich solche Antworten:

    „….Ihr Manuskript ist schwer einzuordnen, irgendwo zwischen Autobiographie und Essay, zwischen Streitschrift, Polemik und Sachbuch…“

    Autsch 🙂

    Das lass ich dann doch besser…

    Gruß

  6. Sehr guter Eintrag – als Anstoß.
    Man muß aber schon einen Unterschied machen zwischen den Patenten, die die Softwareindustrie durchsetzen will, und den Rechten an der Vermarktung, für die die Musikindustrie ihre Anwälte ins Rennen schickt. Mit Patenten soll Wissen „geschützt“ werden; die Abmahnungen wegen Raubkopien betreffen „lediglich“ die Form der Aneignung von physischen Gegenständen. Oder anders: ein Patent versucht, die Idee der Kadenz zu schützen; das Urheberrecht geht gegen die vor, die Noten oder CDs verbreiten, auf der eine Kadenz in B-Dur zu sehen/hören ist.
    Das hört sich nach einem nur sehr subtilen Unterschied an, ist es aber nicht.

  7. Michael, ich gebe dir Recht. Mir ging es darum, das Patentrecht zu hinterfragen und seine Wirkungen auf Innovation in einem anderen Kontext zu zeigen. Wird nicht das Recht der Menschheit auf Fortschritt zugunster des Eigentumsrecht einzelner kompromittiert?

  8. Klar hast Du recht; Deine Frage kann man nur bejahen.

    Ich wollte darauf hinweisen, daß die Verwertungsmechanismen der Musikindustrie – so schlimm die letztlich wirken – nicht mit dem Patentrecht vergleichbar sind, hinter dem sich die Großindustrie verschanzt, um Ideen mit Stacheldraht zu umzäunen, in der Hoffnung, diese irgendwann vermarkten zu können. – Erster Ansatz tut weh, der zweite ist letztlich tödlich.

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