Als ich mit meinen alten Freunden im Café unter lauter 20-25jährigen sass, fragte ich in die Runde, ob gerne noch mal jemand die Zeit zurückdrehen würde. Es fand sich niemand. Denn man müsste ja alles vergessen und verschwinden lassen, was in den letzten 20 Jahren passiert ist – Liebesleid, Prüfungsstress, Freundschaften, Ideen, Enttäuschungen, Familie, Erfahrungen, Wohlstand, Unabhängigkeit. Und dann wäre man ja wieder der Mensch von damals in in zwanzig Jahren der von heute. Sinnloses Unterfangen. Der Mensch bezahlt seine Entwicklung mit dem Leben. Geniales Konzept!
Während meines Zivildienstes betreute ich Nico, der als damals 20jähriger den körperlichen und geistigen Entwicklungsstand eines 12jährigen hatte. Mittlerweile ist er ein vierzigjähriger Zwölfjähriger. Keine Falten, keine neuen Interessen, kein Fortschritt. Alles, was an Wahrnehmungen und Erfahrungen ausserhalb der mentalen Aufnahmefähigkeit eines 12jährigen liegt, prallt ohne Wirkung an ihm ab. Man muss älter werden, um sich zu entwickeln. Das Gehirn ist kein Speicher, den man irgendwie füllen muss, um den Träger zu einer Persönlichkeit zu machen. Der Körper muss den Träger verändern, damit das Erfahrene auf fruchtbaren Boden fallen kann.
Wird es nicht von Jahr zu Jahr wichtiger zu filtern: immer weniger verbliebene Zeit, aber immer mehr Eindrücke, neue aber auch alte, hochgeschwemmte, die Aufmerksamkeit und Energie beanspruchen? Mehr Bekanntschaften, mehr Bücher im Regal, mehr Musik, mehr Erinnerungen – was davon sollte man entsorgen? Was ist wirklich essentiell? Mit was sollte man sich erst gar nicht beschäftigen?