Die Fragen sind es, aus denen das, was bleibt, entsteht (Erich Kästner)

Archive for the ‘Lieder’ Category

Eins und Eins

In Lieder on Dezember 12, 2010 at 10:51 pm

Foto: GViciano

Wenn Kulturen sich begegnen und nicht bekriegen, verschmelzen sie. Und selbst wenn sie sich bekriegen, verändern sie sich gegenseitig. Aus zwei Kulturen entsteht eine neue. Aber ist das nicht auch irgendwie traurig? Schliesslich bleiben zwei kleine auf der Strecke um einer grösseren zu weichen. Manchmal verschwindet auch nur eine davon, wird von der anderen aufgefressen. Dann entsteht noch nicht mal etwas Neues. Und manchmal löschen sich Kulturen auch gegenseitig aus.

Eins und eins ist also manchmal eins, manchmal zwei, manchmal null, manchmal sogar mehr als zwei. Welches Ergebnis ist das wahrscheinlichste? Von was hängt das ab? Welches Ergebnis ist denn das wünschenswerteste? Und was passiert, wenn nur noch eine einzige Kultur übrig ist? Ist das überhaupt denkbar – oder zerfallen alle Kulturen zwangsläufig wieder in viele Kleine, die sich dann bekriegen und vereinen und wachsen und wachsen und irgendwann wieder zerfallen? Sind die einzelnen, die vielen kleinen Kulturen schützenswert – oder muss man hinnehmen, dass sie in anderen Kulturen aufgehen? Bergen also kulturelle Begegnungen den Keim der Zerstörung?

Man könnte das Wort „Kultur“ in diesem Text auch durch das Wort „Sprache“ ersetzen. Durch welche Wörter noch?

Eins und Eins“ (2002) [Download]

[Text+Musik: M.Jung]


Das Lied steht unter Creativ-Commons-Lizenz. Bearbeitung und Verbreitung  ausdrücklich erwünscht! Mehr gibt es hier.

Tucholsky: Ideal und Wirklichkeit

In An Niemanden, Lieder on Juli 8, 2010 at 9:38 pm

Ideal: echte Instrumente, befreundete Musiker, eine gemeinsame Aufnahme vor Publikum, Kreativität durch Austausch

Wirklichkeit: ein Computer und ein Mikrophon, Garage Band als Software, 3 Stunden allein in einem dunklen schallgedämpften Raum, Kreativität als Fluchtversuch

„Ideal und Wirklichkeit“ (1929/2009) [Download]

[Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung]

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Tucholsky – Mikrokosmos

In Lieder on April 3, 2010 at 2:23 pm

Foto: Mazoe28

Was sucht der Mann in der Frau? Die Geliebte, die Gespielin, die Gattin, die Grossmutter, die Glücksfee, die Grüssauguste, die Gluthexe, die Gladiatorin, die Gouvernante, die Göttin, die Gutefreundin, die Grüblerin, die Geneigte, die Gütige, die Güchenchefin? Wieviele Spezialistinnen muss er kennenlernen, um all seine Bedürfnisse zu erfüllen – und wieviele Leben mag das dauern? Oder gibt es die All-Rounderin, die Hundertkämpferin unter den Frauen, die Frau mit den tausend Gesichtern? Und was, wenn die Bedürfnisse von Frauen ebenso kompliziert sind?

Dass man nicht alle haben kann…

„Mikrokosmos“ (1920/2009) [Download]

[Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung]

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Tucholsky – Sehnsucht nach der Sehnsucht

In Lieder on März 27, 2010 at 6:52 pm

Welcher Künstler ist der produktivste: der, der frisch verliebt ist? Oder der, der gerade verlassen wurde und sich in seinem Leid windet? Oder vielleicht der, der seit zwanzig Jahren verheiratet ist und sich seine Abenteuer nur ausdenkt? Inspiriert die Wirklichkeit oder ist sie nur lästiges Rauschen?

„Sehnsucht nach der Sehnsucht“ (1919/2009) [Download]

http://www.fileden.com/files/2009/4/25/2417443/SehnsuchtNachDerSehnsucht.mp3%20

[Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung]

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Tucholsky – Frage

In Lieder on Februar 27, 2010 at 5:09 pm

Foto: amanki

dann frag ich still, so leis ich kann: „Und dazu zieh’n Sie’n Smoking an -?“

„Frage“ (1930/2008) [Download]

[Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung]

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Tucholsky – Der Pfau

In Lieder on Februar 20, 2010 at 6:24 pm

Foto: buffulutu

Ist es nicht eine erfüllende Tätigkeit, sein Leben einer Aufgabe zu widmen, die dem eigenen Charakter und Fähigkeiten entspricht, seine eigene geheime Mission aufzudecken, seine Stärken in Taten zu verwandeln, seinen Platz in Zeit und Raum zu finden und zu erobern? Selbst, wenn er nicht den eigenen Erwartungen entspricht und vergleichsweise banal scheint? Manche haben es da recht leicht, denn:

Wer dumm und schön ist, setzt sich. Siegt. Und schweigt.

„Der Pfau“ (1927/2008) [Download]

[Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung]

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Der Film: Augen in der Gross-Stadt

In Lieder on Dezember 15, 2009 at 7:58 pm

Das Foto-Projekt „Augen in der Gross-Stadt“ ging am Sonntag zu Ende. Es gab 13 Einsendungen, leider nicht genug, um damit eine Diashow von über zwei Minuten Länge zu basteln. Deshalb habe ich mich an Flickr vergriffen und Bilder mit Common-Creatives-Lizenz eingebaut. Da bei den Einsendungen auch weit mehr Gross-Stadt (insbesondere Bahnhof) als Augen dabei waren, nahm ich mir die künstlerische Freiheit heraus, nicht alle Einsendungen einzubauen. Tut mir leid, es wäre wohl besser gewesen, vor Projektbeginn eine Art Aufgabenteilung anhand der Liedzeilen zu machen. Aber so ist das nunmal mit den ersten Malen. Ich wäre für ein zweites bereit, sind ja noch einige Lieder übrig.

Auf alle Fälle vielen Dank an Luiza, Miki, Yvie, Menachem, Applejünger, Tonari, Annalena fürs Mitmachen und natürlich an paleica, die die Idee aufgenommen und weitergetragen hat.

Hier also das Ergebnis. Tucholskys „Augen in der Gross-Stadt“ gesehen von knapp 30 Augenpaaren im 21.Jdh:

Tucholsky – Wenn die Igel in der Abendstunde

In Lieder on November 21, 2009 at 6:11 pm

Foto: philflieger

Und wenn man schliesslich Heidelberg in Wien am Rhein gefunden hat und feststellen muss, dass es nicht seemannslos ist, dann, ja, sollte man dann weiterziehen?

[Download]

(Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung)

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Tucholsky – Lied fürs Grammophon

In Lieder on Oktober 29, 2009 at 9:33 am

Foto: bas:il

Wenn die eigene Liebe nicht erwidert wird, wenn der blosse Gedanke an das Lächeln der Angebeteten alle Sinneseindrücke überschattet, wenn der Mond da oben und die Welt so blue ist, wenn der blasse Nebenbuhler den Hauptgewinn nach Hause trägt, dann hat sich eine Geschichte zum Millardsten Male wiederholt. Das alte Lied. Die alte Platte. Zum x-sten Male. Ein Lied fürs Grammophon:

[Download]

(Text: K.Tucholsky, Musik: M.Jung)

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Lied fürs Grammophon
Gib mir deine Hand,
Lucindy!
Du, im fernen Land –
Lucindy!
Wie die Ätherwellen flitzen
über Drähte, wo die Raben sitzen,
saust meine Liebe dir zu …
du –
tu – tu – tu – mmm –
Wenn du mich liebst, so singt dein Blut,
Lucindy!
Ach, wenn du nicht da bist, bin ich dir so gut,
Lucindy!
Dein, dein Lächeln läßt mir keine Ruh …
Man kann von oben lächeln,
man kann von unten lächeln,
man kann daneben lächeln –
wie lächelst du?
tu – tu – tu – mmm –
Meine, die will mich verlassen,
Lucindy!
Deiner, der will dich fassen,
Lucindy!
Kehr zu ihm zurück!
Vielleicht ist das das Glück …
Ich guck in den Mond immerzu –
oh, so blue – mmm –
Wie man auch setzt im Leben,
Lucindy!
man tippt doch immer daneben,
Lucindy!
Wir sitzen mit unsern Gefühlen
meistens zwischen zwei Stühlen –
und was bleibt, ist des Herzens Ironie …
Lucindy!
Lucindy!
Lucindy –!
(Kurt Tucholsky, 1929)

Tucholsky – Letzte Fahrt

In An Manche, Lieder on Oktober 12, 2009 at 8:39 am
Foto: Martin

Foto: Martin

Jemand, der seinen frühen Tod ahnt und früh stirbt: schicksalhaft

Jemand, der glaubt, alt zu werden, und früh stirbt: tragisch

Jemand, der glaubt, alt zu werden, und es tatsächlich wird: weise

Jemand, der seinen frühen Tod ahnt und alt wird: wichtigtuerisch

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Das Lied steht unter Creativ-Commons-Lizenz. Bearbeitung und Verbreitung ausdrücklich erwünscht!

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Letzte Fahrt

An meinem Todestag – ich werd ihn nicht erleben –
da soll es mittags Rote Grütze geben,
mit einer fetten, weißen Sahneschicht …
Von wegen: Leibgericht.
Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger
aus seiner Nase – niemand haut ihm auf die Finger.
Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.
Und ich lieg da und denk: »Ach, polk dich aus!«
Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.
Nun faßt der Karlchen die Blondine unter,
die mir zuletzt noch dies und jenes lieh …
Sie findet: Trauer kleidet sie.
Der Zug ruckt an. Und alle Damen,
die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:
vollzählig sind sie heut noch einmal da …
Und vorne rollt Papa.
Da fährt die erste, die ich damals ohne
die leiseste Erfahrung küßte – die Matrone
sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.
Altmodisch war sie – aber sie war gut.
Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!
Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?
Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:
mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.
Auf rotem samtnen Kissen, im Spaliere,
da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere
die Orden durch die ganze Stadt
die mir mein Kaiser einst verliehen hat.
Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,
da schreiten zwoundzwonzig Nutten –
sie schluchzen innig und mit viel System.
Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem.
Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!
Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysisch.
Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!
Ich schweige tief.
Und bin mich endlich los.

An meinem Todestag – ich werd ihn nicht erleben –

da soll es mittags Rote Grütze geben,

mit einer fetten, weißen Sahneschicht …

Von wegen: Leibgericht.

Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger

aus seiner Nase – niemand haut ihm auf die Finger.

Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.

Und ich lieg da und denk: »Ach, polk dich aus!«

Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.

Nun faßt der Karlchen die Blondine unter,

die mir zuletzt noch dies und jenes lieh …

Sie findet: Trauer kleidet sie.

Der Zug ruckt an. Und alle Damen,

die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:

vollzählig sind sie heut noch einmal da …

Und vorne rollt Papa.

Da fährt die erste, die ich damals ohne

die leiseste Erfahrung küßte – die Matrone

sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.

Altmodisch war sie – aber sie war gut.

Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!

Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?

Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:

mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.

Auf rotem samtnen Kissen, im Spaliere,

da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere

die Orden durch die ganze Stadt

die mir mein Kaiser einst verliehen hat.

Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,

da schreiten zwoundzwonzig Nutten –

sie schluchzen innig und mit viel System.

Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem.

Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!

Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysisch.

Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!

Ich schweige tief.

Und bin mich endlich los.

(Kurt Tucholsky, 1922)